Die Philosophie löst Knoten auf in unserm Denken; daher muss ihr Resultat einfach sein, das Philosophieren aber so kompliziert wie die Knoten,welche es auflöst.
Ludwig Wittgenstein
Philosophieren an der RJO
Philosopha, das heißt Liebe (Philo-) zur Wahrheit (-sophia). Und genau das ist es, was man braucht beim philosophieren. Philosophieren fängt mit dem Sichwundern an, mit dem Erstauntsein, mit dem hinterfragen von alltäglichen, profanen, vorgegebenen und fraglos angenommenen Wahrheiten. Die wahrhaftige Suche nach Wahrheit kann aber nur erfolgreich sein, wenn man sich der Kraft des besseren Arguments beugt und lernt, auch unliebsame Wahrheiten als solche anzunehmen, anstatt trotzig auf liebgewonnen Trugschüssen zu beharren. Somit ist die Tätigkeit des Philosophierens eine demokratische Praxis, die Respekt und Offenheit für die Argumente des Diskurspartners voraussetzt und, diese kann man lernen!
An der RJO wird Philosophie als Unterrichtsfach ab der 11. Klasse angeboten und versteht sich als Weiterführung des Fachs Ethik in der Mittelstufe, das wiederum ausgehend von den lebensweltlichen Erfahrungen der Kinder eine Vorbereitung auf das Philosophieren liefert.
Die Schüler* haben an RJO somit die Möglichkeit, sich in drei Jahren das Grundgerüst der Philosophie als geisteswissenschaftliche Disziplin anzueignen und dieses Können auch für das Abitur zu verwenden.
11. Klasse: Einführungsphase
Das erste Jahr Philosophie schließt sich direkt an den Ethikunterricht der 10.Klasse an, und führt die Schüler* an grundlegende philosophische Probleme heran. Dazu werden zunächst die Position des Faches und einige Grundsätzliche Fragen diskutiert wie z.B:
Was ist überhaupt eine philosophische Frage?
Was unterscheidet die Philosophie von anderen Wissenschaften?
Was bedeutet es eigentlich zu philosophieren?
Wozu ist die Philosophie eigentlich Nützte?
Die Schüler* lernen dann das Handwerkszeug der Philosophie, nämlich die Grundlagen der Logik und elementare Strukturen des Argumentierens kennen, sowie Kernkompetenzen der Textanalyse und –Darstellung. Im Folgenden wird die Anwendung dieser Arbeitstechniken an den Themen der vier Oberstufensemester an praktischen Beispielen erprobt. Fragen, die dabei diskutiert werden sind z. B.:
In welchen Fällen sollte Lügen erlaubt werden?
Was ist eigentlich der Kern einer guten Handlung?
Ist der Mensch eigentlich von Natur aus Gut?
Woher weiß ich, dass meine Eindrücke wirklich real sind?
Gibt es Gründe an Gott zu glauben, und wenn Ja welche?
Gymnasiale Oberstufe: Qualifikationsphase
In den vier Semestern der Oberstufe, die als Qualifikationsstufen für das Abitur bezeichnet werden, zielt das Fach Philosophie in zunehmendem Maße auf die Stärkung des Abstraktionsvermögens der Schüler ab. Als Leitfragen bedienen wir uns dabei jeweils einer der vier Grundfragen, die Immanuel Kant zur Definition der philosophischen Wissenschaft vorschlägt:
1. Semester (Q1): Was soll ich tun?
2. Semester (Q2): Was ist der Mensch?
3. Semester (Q3): Was kann ich wissen?
4. Semester (Q4): Was darf ich hoffen?
1. Semesters (Q1): Ethik
Grundfragen:
Ist es erlaubt eine tyrannischen Herrscher zu töten? Sollte es erlaubt sein Embryonen bei denen erkennbar ist, dass sie nicht nur bei ihren Angehörigen Leid und unsägliche Mühen verursachen, sondern auch der Gesellschaft teuer zu stehen kommen werden, schon im Mutterleib abzutöten? Kann es gerechtfertigt sein Menschen zu opfern, um damit andere Menschen zu retten oder steht die Unversehrtheit jedes Einzelnen über allem?
Philosophische Analyse:
Was also ist gerecht und moralisch geboten? Darum geht es im Wesentlichen im 1.Semester Philosophie. Prinzipiell stehen sich dabei die kantsche Gesinnungsethik und die Nutzenethik gegenüber und wir gehen der Frage nach, ob man sich in seinen Handlungsentscheidungen an generelle Prinzipien halten soll, die in allen Fällen gleichermaßen gelten oder ob von Fall zu Fall neu entschieden werden muss, je nachdem, welche Voraussetzungen gegeben sind und welche Handlungsfolgen zu erwarten sind.
Praxis Bezüge:
Praktische Anwendung finden solche philosophischen Fragen in aktuellen Diskusionen wie z.B. in der Gentechnik, der Tierethik oder der Pränataldiagnostik aber auch die Fragen nach der Berechtigung kultureller Freiheiten und deren Einschränkung sowie der Legitimation von militärischen Einsätzen in fernen Ländern, bewegen sich in diesem ethisch,- moralischen Spannungsfeld.
2. Semester (Q2): Anthropologie
Grundfragen:
Der Mensch ist von Natur aus gut! Das sagen die einen, andere sind der festen Überzeugung, dass der Mensch im Kern eigentlich egoistisch ist, dass er auf seinem Nächsten neidisch ist und durch Regeln, Gesetzte, Verbote und Strafen davon abgehalten werden kann, sich einfach zu das nehmen, nach dem ihm gelüstet. Was sich hier zeigt, sind Differenzen im Selbstverständnis des Menschlichen. Im Grunde geht es um die kantsche Frage: Was ist der Mensch?
Diese Frage zieht wiederum zahlreiche weitere Fragen nach sich z.B.:
Wie unterscheidet sich der Mensch vom Tier?
Welche Rolle spielen die Kultur und die Natur bei der Menschwerdung?
Was meinen wir eigentlich, wenn wir von der Seele des Menschen sprechen?
Anhand verschiedener philosophischer Position, werden im zweiten Semester solche Fragen mit dem Ziel diskutieren, den Schülern* ein differenziertes Bild der Problematik zu geben, anhand dessen sie sich eine eigene Position erarbeiten können.
Philosophische Analyse:
Wichtig sind dabei u.a. die Ideen des britischen Philosophen Thomas Hobbes, der den Standpunkt vertrat, der Mensch sei dem Menschen ein Wolf und es brauche starke, souveräne Führer, um die Menschen zu befrieden und zu kultivieren. Sein berühmtester Gegenspieler, der Franzose Jean-Jacques Rousseau vertrat eine vollkommen andere Einstellung. Erst durch die Kultivierung nämlich, erst durch Besitz und Eigentum kamen Neid, Hass und Habgier unter den Menschen auf. Je nach dem, welchen Aussage man zustimmt, ergeben sich völlig konträre Menschenbilder, die wiederum nach extrem differenten Staatsformen, Rechtsprechungen und Erziehungsstilen verlangen.
Praxis Bezüge:
In der Praxis geht es also in diesem Semester auch um politische, rechtliche und pädagogische Fragen.
Wie soll ein Staat regieren, was soll man mit Menschen machen, die Regeln übertreten, wie soll man seine Kinder erziehen?
Wie kann es dazu kommen, das autokratischer Regierungsformen vom Volk gewünscht werden? Inwiefern sollte das Private des Menschen im Informationszeitalter und angesichts des Terrors geschützt werden?
3. Semesters (Q3): Sprachphilosophie / Erkenntnistheorie
Grundfragen:
Ist der Kugelschreiber, den ich in der Hand halte, für dich genauso rot wie für mich? Wer sagt denn, was der Begriff Rot bedeutet. Könnte es nicht sein, dass das, was ich als rot empfinde, für dich das ist, was ich als grün empfinde? Offensichtlich lässt sich zumindest nicht das Gegenteil beweisen. Damit wären die Begriffe Rot und Grün keine konsistenten Definitionen von Sinneseindrücken sondern bestenfalls Bezeichnungen für physikalisch messbare Bereiche von Wellenlängen des Lichtes.
Philosophische Analyse:
Die Frage, wie Wirklich ist eigentlich die Wirklichkeit, die wir als selbstverständlich gegeben hinnehmen, steht im Zentrum des dritten Semesters. Wenn schon die Realität solch einfacher Sinneseindrücke wie der von Farben, berechtigter Weise Zweifel aufwirft, wie sicher können wir uns dann über die Eindeutigkeit von wirklich bedeutenden Phänomenen, der von uns wahrgenommenen Welt sein. Wieder ist es Immanuel Kant, der uns mit seinen Ausführungen zu der Frage, ob die „Dinge an sich“ für uns überhaupt erkennbar sind, philosophisch weiterhilft. Kant geht der Frage nach, was an unserem Erkenntnisvermögen auf Erfahrungen beruht und inwieweit unsere Erkenntnisleistungen durch unsere angeborenen Sinnesapparate vorgegeben ist.
Praxis Bezüge:
Virtuelle Welten, wie bei Martrix, in denen Phantasie und Realität vertauscht und vermischt werden, sind im Kino derzeit in loser Aufeinanderfolge zu betrachten. Als Gedankenexperimente, sind diese Filme ein Mittel, um uns vor Augen zu führen, dass die Welt, die wir zunächst als real Vorgegeben wahrnehmen, ebenso gut uns von uns selbst konstruiert sein könnte. Die Tatsache, dass wir uns in der von uns wahrgenommenen Welt quasi unfallfrei und fast ohne anzuecken leben können heißt ja nicht, dass unsere Wahrnehmung die einzig wahre Interpretation der Welt ist. Was hinter den Ecken steckt, bleibt uns nämlich verborgen. Das passiert auch, wenn wir z.B. Nachrichten sehen, Zeitung lesen, uns von Werbebotschaften berieseln lassen, YouTuben, Twittern oder auf Instagram Videos teilen. Real ist für die Menschen nur das, was sie als real annehmen. Was Fakten und was Fake News sind hängt eben von Standpunkt des Betrachters ab. Wer dies erkennt, steigert seine Chancen auf wirkliche Autonomie und echte Willensfreiheit.
4. Semesters (Q4): Metaphysik
Grundfragen:
Tu endlich mal was Sinnvolles! Das scheint eine einfache Aussage zu sein, doch sie entpuppt sich bei näherem Hinsehen als ziemlich fragwürdig. Das Problem ist, wie man schnell erkennt, der Begriff des Sinnes. Was bedeutet es, wenn ich einer Tätigkeit die Wertung „sinnvoll“ verleihe? Was kann angesichts der Tatsache, dass wir alle sterben werden, überhaupt als sinnvoll im Leben bezeichnet werden? Hat das Universum mit allem unbelebten und belebten überhaupt einen Sinn? Und schließlich: Was wäre, wenn es da gar keinen Sinn gäbe? Wie kann man damit Leben?
Philosophische Analyse:
Das Suchen und Finden von Sinn im Leben ist ein kompliziertes Unterfangen. Zwischen der sakralen Sinngebungen durch Religion oder der Profanität der Alltagssinnwelten am Arbeitsplatz, in Familien und Shopping Malls sowie der tagtäglich erfahrbaren Sinnlosigkeit vieler unserer Aktivitäten, ist es schwer, einen Weg zu finden, der uns nicht in Sackgassen führt. Destruktiver Fatalismus, depressive Apathie, religiöse Euphorie oder eine trotzige Rechtfertigung der Absurdität unseres Daseins allein genommen führen nicht zu Entwicklung einer integrierten Persönlichkeit. Ein differenziertes Weltbild erlangt man, wenn man verschiedene Gedankenimpulse kritisch hinterfragt. Ideen dazu geben uns neben den französischen Existenzialisten wie Albert Camus und Jean-Paul Sartre auch asiatische Denker wie Laotse und Konfuzius sowie aktuelle Philosophen, wie Hartmut Rosa und Wilhelm Schmid.
Praxis Bezüge:
Im Kern geht es um die Frage, was jeder Einzelne für sich als Lebenssinn erachtet. Kann man sich selber auf diese Frage eine schlüssige Antwort geben, hat man gute Chancen sein Leben zu einem geglückten Leben zu machen. Gerade am Ende der Schulzeit, wo die der Sprung in die Welt der Universitäten, Arbeitsverhältnisse und auch Partnerschafts- und Familienbündnisse kurz bevor steht, kann die Auseinandersetzung mit der Sinnfrage starken persönlichkeitsbildenden Charakter haben und zum Finden der eigenen Position in einer immer wirrer und schnelllebiger werdenden Welt beitragen.